Jenaer Erklärung

verabschiedet auf der Vollversammlung vom 5. Mai 2013 in Jena

Vor dem Hintergrund der drohenden Gefahr der Einführung allgemeiner Studiengebühren hat sich das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) im Jahr 1999 gegründet, es hat seine Forderungen durch den Krefelder Aufruf kundgetan und im Jahr 2006 durch die Hattinger Erklärung gestärkt. Mit der Jenaer Erklärung werden diese Forderungen erneut bekräftigt, bestätigt und ergänzt.

Mittlerweile unterstützen mehrere hundert Organisationen, Zusammenschlüsse, Einzelpersonen das ABS als Bündnispartner_innen. Der gemeinsame Protest sollte sich nicht nur auf Studien- und Bildungsgebühren konzentrieren. Bildungsgebühren sind kein Zufall, sondern entstammen politisch durchgesetzten kapitalistischen Verwertungsprozessen. Der Fokus der Kritik muss sich daher auf die ursächlichen Zusammenhänge richten.

Nach dem Ausgang der Landtagswahl in Niedersachsen und des Volksbegehrens in Bayern werden Allgemeine Studiengebühren vorerst abgeschafft. Dieser Erfolg darf nicht dazu führen, von einer umfassenden Kritik an weiter bestehenden Gebühren abzusehen.

Kitagebühren verursachen eine starke monatliche finanzielle Belastung und die Angebote für frühkindliche Bildung können häufig nur von Besserverdienenden in Anspruch genommen werden. Eltern und Schüler_innen müssen einen großen Teil ihrer Lernmittel selbst finanzieren. Auch Menschen, die einen Meister_innentitel erlangen wollen, werden nach wie vor mit Gebühren konfrontiert.

Studierende werden mit Langzeit-, Zweitstudiums-, Senior_innen-, Gasthörer_innen-, Weiterbildungs- oder Verwaltungsgebühren konfrontiert. Von ausländischen Studierenden werden zusätzliche Gebühren (z.B. Bewerbungsgebühren) erhoben. Bildungsgebühren führen zu sozialer Selektion, weil sie Gruppen von Menschen aus vor allem sozioökonomischen Gründen den Zugang zu Bildung deutlich erschweren.

Werden Bildungseinrichtungen nach Abschaffung von Gebühren nicht mehr vorhandene Mittel “kompensiert”, findet im Zweifel eine Verlagerung des Defizits auf andere Bildungsangebote oder soziale Leistungen statt. Zudem tragen Gebühren kaum zur Finanzierung der Bildungsangebote bei. Diese Analyse verstärkt sich vor dem Hintergrund der anhaltenden Krise und der Schuldenbremse für die öffentlichen Haushalte. Diesem Verlagerungsprozess und weiteren Mittelkürzungen muss Einhalt geboten werden.

Rentabilität, Verwertbarkeit und Konkurrenz sind zentrale Triebfedern, die das Bildungssystem maßgeblich beeinträchtigen. Das führt dazu, dass Studierende vorrangig in bestimmten Fachrichtungen ausgebildet werden sollen, um so möglichst verwertbares Wissen produzieren. An den Hochschulen führt das zwangsläufig zu einer Herausbildung zweier Sphären, die nach einem demokratischen und emanzipatorischen Bildungsideal zusammen gehören: Forschung und Lehre.

Beide Bereiche sind jedoch mehr und mehr den gleichen kapitalistischen Verwertungsprozessen ausgesetzt.. Für die Forschung hat das zur Folge, dass an den Hochschulen in erster Linie die Forschung betrieben wird, welche für einzelne Unternehmen direkt verwertbar ist. Nur die Ergebnisse sind für die betreffenden Unternehmen relevant, mit denen sie gegenüber der Konkurrenz marktfähig bleiben. Hochschulen dürfen nicht gezwungen werden den Unternehmen durch s.g. Drittmittel die Möglichkeiten zu geben Einfluss auf Forschung und Lehre zu nehmen.

Ähnlich verhält es sich im Bereich der (Aus-)Bildung: Ein Großteil der notwendigen Bildung wird an den staatlichen Bildungseinrichtungen vermittelt, so dass Unternehmen ihren eigenen Ausbildungsaufwand reduzieren können.

Doch warum nimmt der Staat es auf sich, eine teure Ausbildung oder Forschung mitzufinanzieren? Die Beantwortung dieser Frage rückt die Standortpolitik in den Fokus. Für die Unternehmen ist dieser Standort (z.B. der „Standort Deutschland“) irrelevant, so lange sie ihre Waren von möglichst billigen und gut ausgebildeten Arbeitskräften herstellen lassen können. Das Bild ,gut ausgebildet‘ erfuhr in den letzten Jahren einen Wandel: Während Studierende zunächst relativ breit und umfangreich ausgebildet werden sollten, damit sie flexibler auf dem Arbeitsmarkt eingesetzt werden konnten, setzte sich unter dem Einfluss der Bologna-Reformen zunehmend der Anspruch durch, Studierende auf dem schnellsten Weg durch die Universität zu schleusen. Erforderlich dafür war und ist eine spezialisierte Ausbildung. Dadurch und durch die Einführung der Bildungsgebühren sollten in erster Linie Kosten gespart werden. Die Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf zwölf Regeljahre (G8) ist Bestandteil dieses Trends, wodurch Arbeitskräfte schneller für den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen können. Die Bewertung, wer_welche verwertbar ist und wer_welche nicht, setzt bereits früh im Bildungssystem ein.

Die Arbeit des ABS verpflichtet sich einer bündnisübergreifenden Tätigkeit, die Schüler_innen, Auszubildende und Studierende gleichermaßen ansprechen soll. In Zusammenarbeit mit den Vertreter_innen der jeweiligen Statusgruppen, Gewerkschaften sowie anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen soll ein breites Bündnis entstehen, das sich für einen barrierefreien Zugang zu allen Bildungseinrichtungen stark macht.

Bildungsgebühren in jeglicher Form sind sofort abzuschaffen. Das Bildungssystem muss aus öffentlichen Mitteln so finanziert werden, dass allen Menschen Bildung barrierefrei und kostenfrei zugänglich ist. Erst durch eine umfassende Reformierung des Bildungssystems kann der Grundstein für ein emanzipatorisches Verständnis von Bildung gelegt werden.

Bildung muss für jeden Menschen ein Leben lang kostenfrei sein.


Für die Abschaffung jeglicher Form von Bildungsgebühren!
Für die Aufhebung des Verwertungszwangs!
Für eine emanzipatorische Bildung!